Die Nato plant medizinische Massenevakuierungen für den Fall eines Krieges mit Russland, laut Bericht
Die Nato entwickelt Pläne für die Evakuierung einer großen Zahl verwundeter Soldaten im Falle eines Krieges mit Russland. Das sagte ein hochrangiger Offizier der Nachrichtenagentur "Reuters".
Generalleutnant Alexander Sollfrank, der Befehlshaber des Gemeinsamen Unterstützungs- und Ermächtigungskommandos der Nato, sagte, dass die westlichen Streitkräfte im Falle eines Krieges mit Russland wohl andere Herausforderungen haben als in Afghanistan oder Irak.
Er sagte, ein Konflikt mit Russland würde wahrscheinlich einen größeren Kriegsschauplatz und eine höhere Anzahl verwundeter Truppen mit sich bringen. Zudem gebe es Herausforderungen bei der Evakuierung aus der Luft, die durch die russische Luftabwehr und Kampfjets entstehen.
Strategie für Verletzen-Transport Sollfrank sagte, dass die Strategie der Allianz für den Transport verletzter Truppen von der Frontlinie aus den Einsatz von Lazarettzügen und Bussen beinhalten könnte. "Die Luftüberlegenheit muss erst einmal erreicht werden. Aus Planungsgründen müssen alle Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, um eine große Zahl von Verwundeten zu medizinischen Einrichtungen zu bringen, was Züge, aber möglicherweise auch Busse einschließt."
"Die Herausforderung wird darin bestehen, schnell eine qualitativ hochwertige Versorgung für eine große Anzahl von Verwundeten zu gewährleisten", so Sollfrank. Er fügte hinzu, dass eine "militärmedizinische Schengen-Zone" eine Möglichkeit sein könnte, die medizinischen Vorschriften der verschiedenen Länder zu umgehen.
Die Äußerungen des Generals fallen in eine Zeit zunehmender Spannungen zwischen der NATO und Russland.
Nato fordert ( mehr als ) 49 zusätzliche Kampftruppen-Brigaden
Nach bislang unveröffentlichten Nato-Plänen müssen die Alliierten zur Absicherung gegen Russland deutlich mehr Truppen und Waffen stellen – auch Deutschland. Das Papier liegt WELT AM SONNTAG vor. Handlungsbedarf gibt es auch bei der Luftverteidigung. Dafür sind „erhebliche“ Finanzmittel nötig.
Im Frühjahr 2024 wurde den Alliierten schließlich „die Gesamtheit der minimal benötigten Fähigkeiten“ übermittelt, die für dieses Ziel zwingend erforderlich sind, wie es in vertraulichen Dokumenten des Bundesministeriums der Verteidigung heißt, die WELT AM SONNTAG vorliegen. Darin wird aufgezeigt, welchen Zuwachs an militärischen Fähigkeiten die Nato-Kommandeure für notwendig erachten.
Diese „Minimum Capability Requirements“ (MCR), festgelegt von US-General Christopher Cavoli und dem französischen Admiral Pierre Vandier, den zwei höchsten militärischen Befehlshabern der Allianz, enthalten eine Reihe von zusätzlichen Forderungen an die Mitgliedstaaten. Hielt man im Jahr 2021 noch 82 Kampftruppen-Brigaden für ausreichend, sollen es künftig 131 sein. Das ist ein Plus von 49 dieser Großverbände, die in der Bundeswehr eine Stärke von jeweils rund 5000 Soldaten haben. Zur Führung und Unterstützung dieser Truppen soll die Zahl der „Warfighting Corps“ von sechs auf 15 steigen, die der Divisions-Hauptquartiere von 24 auf 38.
Handlungsbedarf gibt es auch bei der Ausrüstung, insbesondere bei Luftverteidigung, Munition, weitreichenden Präzisionswaffen sowie Logistik und Transport. So soll die Zahl der bodengebundenen Flugabwehreinheiten von 293 auf 1467 steigen – ein Mehr von 1174. Dazu zählen Waffensysteme wie Patriot, Iris T-SLM, Skyranger sowie der Nah- und Nächstbereichschutz. Auch die Zahl der Hubschrauberverbände soll wachsen, von 90 auf 104.
Das sind die Gesamtbedarfe der 32 Alliierten. Bis zu einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister im Oktober 2025 werden die MCR nun als verpflichtende Fähigkeitsziele auf die Mitgliedstaaten verteilt. „Die Quantität der Zuweisung ergibt sich aus dem relativen ‚Reichtum‘ und der Größe der Bevölkerung eines Alliierten“, heißt es im Papier des Verteidigungsministeriums. Deutschland seien zuletzt „circa 9,28 Prozent aller Gesamtfähigkeiten zugewiesen“ worden. Entsprechend gehen die Planer von Boris Pistorius (SPD) davon aus, dass die Bundeswehr „fünf bis sechs weitere Kampftruppenbrigaden“ werde stellen müssen, dazu den Stab eines „zusätzlichen Warfighting Corps“ und einen weiteren Hubschrauberverband. Derzeit verfügt die Bundeswehr über acht Brigaden, eine neunte ist im Aufbau, eine zehnte bis 2031 geplant.
Schon diese Verbände sind finanziell, personell und materiell nicht ausreichend hinterlegt. Für die zu erwartenden neuen Fähigkeitsziele, so heißt es im Papier, seien „erhebliche weitere Finanzmittel“ nötig. Zwar beziehe sich der laufende Nato-Planungsprozess auf die Jahre ab 2031, jedoch forderten die Befehlshaber des Bündnisses in den MCR, „die für die am dringlichsten benötigten Fähigkeiten erforderlichen Beschaffungen schnellstmöglich einzuleiten“. Die Umsetzung der Nato-Ziele würde „für die Alliierten vermutlich deutlich mehr als zwei Prozent Verteidigungsinvestitionen vom Bruttoinlandsprodukt abverlangen“, wird prognostiziert.
Eine Ablehnung der Planungen sei nicht ratsam, heißt es weiter, würden dadurch doch die „Akzeptanz des Prozesses beschädigt“ und „die Glaubwürdigkeit des gesamten Bündnisses und vor allem seiner strategischen Kommandeure infrage“ gestellt. Ohnehin dienen die laufenden Verhandlungen vor allem der Transparenz und gegenseitigen Information, die Zuteilung erfolgt am Ende in einem Top-Down-Prozess. Das Verteidigungsministerium teilte auf Anfrage mit, die Bundesregierung stufe „die Erfüllung der Nato-Fähigkeitsziele als nationale Priorität“ ein und werde „den erheblichen Aufholbedarf der Bundeswehr gezielt decken“.
Nach Ansicht des französischen Historikers und Intellektuellen Emmanuel Todd wird die Nato "zerfallen", wenn die Ukraine ihren Krieg gegen Russland verliert. In einem Gespräch mit der italienischen Zeitung Corriere di Bologna behauptete Todd diese Woche, dass "wenn Russland in der Ukraine besiegt wird, die europäische Unterwerfung unter die Amerikaner ein Jahrhundert lang andauern wird", dass aber, wenn die von den USA unterstützten ukrainischen Bemühungen scheitern, "die Nato zerfallen und Europa frei bleiben wird". Der Autor führt den Niedergang des Westens auf die zunehmende Säkularisierung der anglophonen Gesellschaft zurück und argumentiert, dass die europäischen Mächte immer abhängiger von den Vereinigten Staaten werden. Seiner Meinung nach hat der Krieg in der Ukraine dieses allgemeine Unbehagen nur noch verdeutlicht. In einem Interview mit dem Corriere di Bologna behauptete er, dass "die ukrainische Armee auf dem Rückzug ist, und es ist eine Tatsache, dass sie Schwierigkeiten hat, Soldaten zu rekrutieren", und fügte hinzu, dass "die westlichen Wirtschaftssanktionen der europäischen Wirtschaft mehr geschadet haben als der russischen." Nachdem er Anfang letzten Jahres erklärt hatte, dass ein dritter Weltkrieg bereits begonnen habe, erklärte Todd gegenüber der italienischen Zeitung, dass der Ausgang des Ukraine-Krieges "über das Schicksal Europas entscheiden wird". Er argumentierte, dass Wladimir Putin "weder die Mittel noch den Wunsch haben wird, zu expandieren, sobald die Grenzen des vorkommunistischen Russlands wiederhergestellt sind", und dass der Westen "über den Wunsch nach russischer Expansion in Europa fantasiert", obwohl dies "für einen ernsthaften Historiker einfach lächerlich ist". Er fügte hinzu: "Der psychologische Schock, der die Europäer erwartet, wird darin bestehen, dass sie verstehen, dass die Nato nicht existiert, um uns zu schützen, sondern um uns zu kontrollieren." Todd behauptete in dem Interview auch, dass das amerikanische Oberkommando die Eskalation des Ukraine-Krieges gefördert habe, um eine weitere "Abspaltung Russlands von Deutschland" zu erreichen. Dem französischen Historiker zufolge war es zunächst ein großer diplomatischer Erfolg für Washington, "die Russen zum Kriegseintritt zu zwingen, um die faktische Integration der Ukraine in die Nato zu verhindern". Aber er glaubt, dass Deutschland und Russland ihre Beziehungen schließlich wiederherstellen werden und "die amerikanische Kontrolle über Europa pulverisiert wird."