In Strausberg Geschichte geschrieben
Es grummelte schon bei der Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses des Warschauer Vertrages am 7. Juni 1990 in Moskau. Dies war sein höchstes Gremium, in dem seit jeher alle Partei- und Staatschefs der Mitgliedsländer vertreten waren, nun aber erstmals auch durch freie und demokratische Wahlen legitimierte Repräsentanten ihrer Länder. DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière hatte turnusgemäß am vorletzten Tag die Tagungsleitung. Jozef Antal aus Ungarn, Vaclav Havel aus der CSFR und Tadeusz Mazowiecki aus Polen waren entschlossen, den Austritt ihrer Länder zu erklären. Dem Deutschen gelang es mit Mühe, sie mit der Aussicht auf eine Reform des Bündnisses davon abzuhalten. Er wollte den Sowjets Stabilität und Verlässlichkeit suggerieren, um den Prozess der Vereinigung nicht zu gefährden.
Die Einladung kam noch von Honecker.
Bevor eine Woche später die Verteidigungsminister in Strausberg zusammenkamen – Erich Honecker hatte 1988 zu diesem Treffen eingeladen, und weder Rainer Eppelmann noch sein Staatssekretär Werner Ablaß sahen einen Grund, dieser Bündnisverpflichtung nicht nachzukommen, zumal es ja Gesprächsbedarf gab –, hatte sich der Oberkommandierende der Vereinten Streitkräfte, Armeegeneral Pjotr Luschew, bei Ablaß zu einem Arbeitsessen eingeladen. "Er wollte sichergehen, dass es keine bösen Überraschungen gibt, und hatte die Abschlusserklärung schon zur Abstimmung mit dabei. Sie sollte schließlich einstimmig beschlossen werden." Der Kern der Erklärung war, dass sich der Warschauer Vertrag von einem militärisch-politischen Bündnis zu einem politisch-militärischen Bündnis wandeln sollte. Es sollte ähnlich der Nato die Institution eines Generalsekretärs geschaffen werden.
In Strausberg-Nord, direkt gegenüber dem Ministerium, war Mitte der 1980er-Jahre ein hochmodernes Tagungszentrum errichtet worden, der passende Rahmen für das Treffen der Verteidigungsminister. Die Sowjets demonstrierten ihre Dominanz, indem neben ihrem Minister noch drei stellvertretende Minister – nicht wie bei den Bruderstaaten einer – anreisten. Die Spaltung wurde schon beim abendlichen Essen, das Staatssekretär Ablaß für seine Amtskollegen beziehungsweise die stellvertretenden Verteidigungsminister gab, deutlich. Über den Inhalt des Abschlussdokuments wurde nicht diskutiert, stattdessen wurde in Trinksprüchen in recht unterschiedlicher Weise auf die Zukunft angestoßen. "Mir fiel auf, dass der Tscheche sich deutlich zurückhielt", erinnert sich Ablaß, "das verwunderte aber nicht, denn er gehörte zur alten Garde."
Bei der Tagung am nächsten Tag kam es zum Eklat: Der ungarische Verteidigungsminister erklärte unmissverständlich, dass sein Parlament im Herbst den Austritt aus dem Militärbündnis beschließen werde. Der sowjetische Verteidigungsminister, Marschall Dmitri Jasow, schlug darauf heftig mit der Faust auf den Tisch und rief donnernd: "Das verbieten wir Ihnen!" Woraus Rainer Eppelmann als Gastgeber in seiner leisen, aber eindringlichen Art entgegnete: "Das können Sie ihnen nicht verbieten, das sind demokratisch gewählte Volksvertreter." Und dann sprach Eppelmann auch noch die Umweltschäden in sowjetischen Kasernen und Truppenübungsplätzen an und verdarb die Stimmung völlig.
Armeegeneral Luschew wies die Vorwürfe umgehend zurück und unterstellte dem DDR-Minister, er wolle einen Keil zwischen die Bevölkerung der DDR und die Westgruppe der Streitkräfte treiben. Zur Verabschiedung der Minister war Rainer Eppelmann schon nach Bonn verschwunden, Werner Ablaß absolvierte die Zeremonien auf dem Flugplatz Neuhardenberg. "Sechs Nationalhymnen habe ich gehört und sechsmal die der DDR, danach war ich fix und alle."
Für die Garnisonstadt Strausberg gab es zwei weitere wichtige Termine im Juni 1990. Am 23. Juni wurde zum ersten und einzigen Mal das Tor zum Tagungszentrum des Ministeriums für ein Sommerfest geöffnet. Die Strausberger waren eingeladen, sich das stets gut abgeschirmte Gebäude anzuschauen. Bürgerrechtler nutzten die Gelegenheit, um mit Transparenten zu fordern, dass die Häuser der Generale in der Fontanestraße am Straussee der kommunalen Wohnungsverwaltung zur Verfügung gestellt werden.
Der zweite Termin wirkte noch lange nach und fand hinter verschlossenen Türen statt: ein Besuch von Ablaß’ Amtsbruder Karl-Heinz Carl von der Bonner Hardthöhe in Strausberg. "Unser wichtigstes Thema: der künftige Standort der Wehrbereichsverwaltung", berichtet Werner Ablaß. Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg habe auf Berlin bestanden, doch habe er sich hart gezeigt. "Es ging um mehrere zehntausend Arbeitsplätze in der Wehrverwaltung, und ich hatte hier im Ministerium und im Kommando Luftstreitkräfte/Luftverteidigung 45 000 Zivilbeschäftigte, hinzu kamen die von den Grenztruppen und der Zivilverteidigung. Doktor Carl hat mich eindringlich gefragt, ob sich meine Position da bewegen könnte. Und mit ebenso großem Nachdruck habe ich geantwortet: Nein, das ist nicht verhandelbar." Im September stand dann fest, dass die Bundeswehr Strausbergs größter Arbeitgeber für viele Jahre sein werde.
(MOZ)